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Der Titel dieser Ausstellung, unter dem sich die vielen Bilder in diesem schönen Ausstellungsraum
versammeln, verdient für sich genommen einige Beachtung.
Trash – übersetzt zumeist als Müll, oder Abfall, kann aber auch bedeuten Gewesenes, Vergangenes,
Weggeworfenes, aber auch Ramsch, Kolportage und Quatsch . Das wird verbunden mit Comic – die
gegenwärtig vielleicht trivialste, aber auch populärste und oft ironisch treffsichere Form der
Bildgestaltung und dem Dialog.
Bei diesem handelt es sich um eine anspruchsvolle Form des zumeist verbalen Austauschs zwischen
zwei Menschen, als Wechselgespräch oder auch Zwiegespräch als abwechselnd geführte Rede, die die
Bereitschaft auch zum Zuhören voraussetzt. Es sei erinnert an den sokratischen Dialog, also die
philosophische Kunst der Hervorbringung von Erkenntnis im Gespräch mit einem anderen.
Allein der Ausstellungstitel bringt also eigentlich Unvereinbares in einen Zusammenhang. Müll und
Philosophie, Bild und Begegnung, Malerei und Ramsch. Es ist nicht davon auszugehen, dass ein so
hochrangiger Künstler wie Jan Eeckhout seine Werke als Trash (also: Müll) bezeichnet. Jedoch: auch
Weggeworfenes kann, in neuem Zusammenhang präsentiert zusammengestellt, etwas überraschend
Neues ergeben.
Diese bereits im Titel in den Blick genommene Verbindung von Unvereinbarem lässt rasch an die
künstlerische Technik der Collage denken, in der Fragmente und Materialien aus der Realität,
Wortfetzen ausgerissen aus Zeitungen gemeinsam auf einen Untergrund montiert und in bestimmter
Weise angeordnet werden, die einen oft verstörenden neuen Eindruck und Sinn ergibt.
Was sehen wir hier in diesen Bildwerken? Ganz offensichtlich ist es keine Montage unterschiedlicher
Materialien – durchgängig handelt es sich um Malerei auf Leinwand, auf exzellentem Niveau. Und
dennoch wird hier Unvereinbares miteinander in Verbindung gebracht oder besser: nebeneinander
gestellt.
Was also sind hier die unvereinbaren Elemente, die aufeinandertreffen und was bewirken sie
miteinander, in diesem Dialog? Es sind Bildzitate aus unterschiedlichsten Epochen bzw. Stilen, die in
Interaktion treten miteinander, die aber auch Zitate aus anderen Genres aufnehmen, z:B.
Filmelemente enthalten oder auf Werbung zurückgreifen. Wir sehen daher eine Kombination
verschiedener Stile. Vorzüglich präsentiert, erweisen sie schnell ihren Charakter als Zitat. Teilweise
innerhalb einereinzelnen Bildtafel, die auf Stoß gehängt, also unmittelbar kombiniert ist
mit einer
zweiten (Diptychon) oder auch dritten (Triptychon) Bildtafel, wobei die Bilder gemeinsam wieder ein
Ganzes ergeben.
Somit entsprechen diese Gemälde als Neuschaffungen in gewisser Weise auch der Bilderflut, der wir
täglich und fortwährend ausgesetzt sind als Bewohner der Spät-Post-oder wie die gegenwärtige
Moderne gerade genannt werden will. Diese Bilderfluten gehen über uns hinweg, sie fließen in uns
hinein und durch uns hindurch, ungefragt können wir sie wiedererkennen und abrufen, sie senden
ihre Botschaften, die oftmals jenseits der Bewusstseinsschwelle in uns aufgehen. In diesen oft
großformatigen Bildern treffen Porträts zumeist junger und schöner Menschen, auf nicht
gegenständliche, abstrakte Malerei, die an die seinerzeit so genannten jungen Wilden erinnert, und
sodann auf zum Teil aberwitzige Zusammenstellungen von Comic-Elementen, mit Textfragmenten, die
zum Teil nonsense sind, oft aber auch eine steile Kulturkritik enthalten. Schöne Farben vs. Hässliche
Farben, eine Tafel mit leeren Quadraten zum ankreuzen. Kommentar: its so easy. Man könnte sich
schütteln vor Lachen, wenn es nicht so real wäre in der alltäglichen Wahrnehmung so (oder so
ähnlich) in aller Banalität präsent.
Zum Beispiel das Tryptychon (Tafel 19) Ein junger Mann mittig, sehr ernst, anständig geschnittenes
Haar, ein tiefer, ernster Blick, er sieht die Zuschauerin direkt an. Er wirkt nicht versonnen, sondern
nachdenklich, melancholisch, der Ausdruck seiner Augen: verloren und traurig. Der Hintergrund
monochrom weiß, kein Accessoire außer dem Rand eines schlichten T-Shirts gibt Hinweise auf
Herkunft oder Situation. Und rechts von ihm eine wilde Farborgie in abstraktem Stil, kühle Farben in
blau, grau,grün und abgemattetes Magentarot, aufgetragen mit schnellem Pinselstrich und
erkennbaren Farberhebungen. Darüber gelegt ein orange- braunes Netz, Linien die sich zu Quadraten
formen.
Trash Comics und Dialoge
Prof. Dr. Christine Morgenroth zur Eröffung der Ausstellung im workshop hannover e.v.
Links daneben der originale Trash Comic, skizziert ein wohl mittelaltes Paar, die beiden schauen mit
verzücktem Lächeln auf den Schriftzug. „The Bank wants to help YOU „
Der reguläre Comic erscheint hochkant gestellt, die Lüge , die nicht nur Hilfe verspricht durch die Bank,
sondern auch „extra money“ oder „great prizes - das trifft einen wahren Kern. Im Comic findet sich die
Kombination von Wort und Bild, eine Erzählung in einer extremen Reduktion – und daher besonders
treffsicher. „The Bank wants to help you“ – schlimmer kann Realität nicht missverstanden werden, das
ist purer Trumpismus. Ein unverschämter Sexist und größenwahnsinniger Lügner wird in Kürze
Präsident der USA sein.
Dennoch: gibt es etwa Verbindendes in diesen drei Bildern?
Auf den ersten Blick: nichts. Doch dann: alle drei sind Gemälde auf Leinwand, keineswegs „echte“
Collagen. Erst nach und nach stellen sich winzige Verbindungen her, zunächst in der Farbgebung, der
Orange-braune Ton der Linien taucht in den Lichtreflexen der Haare wieder auf, der rosa Ton der
Farborgie sehr viel matter in einigen Abschnitten der Haut sowie der trockenen wie aufgesprungenen
Lippen und ebenso, wieder kräftiger, als Hintergrund der Bank im Comic. Der graublau unterlegte
Schriftzug im Comic ist wieder aufgenommen in der Farbe der Iris und erscheint klarer und deutlicher,
fast dominant in der Farbexplosion des rechten Bildes.Ein Porträt, eine Comic-Gesellschaftssatire und ein
abstrakter Farbrausch, zusammengehalten bzw. verbunden, bei aller Gegensätzlichkeit, durch zarteste
farbliche Nuancen.
Gibt es eine Botschaft, wird eine Geschichte erzählt, kommentieren sich die Tafeln dieses Triptychons
gegenseitig? Die Betrachter*innen sind aufgerufen, sich diese Frage selbst zu stellen und nach
Antworten zu suchen. Die drei Tafeln stehen in einem stillen Dialog zueinander. Die Gesellschafts-Satire
wird von dem Jungen Mann durchschaut, den falschen Versprechen und Albernheiten sitzt er wohl nicht
auf, aber das macht ihn nicht glücklich, es gibt ihm nicht das, was die neokapitalistischen
Glücksversprechen anbieten. Der Zugang zum Wilden, Gefühlsbetonten, vielleicht dem Unbewussten,
erscheint ihm versperrt, vielleicht ahnt er etwas, er kann es nicht erschließen. Die verblödete Warenwelt
hat ihn zu einer Hülle seiner selbst werden lassen, unlebendig und in sich selbst gefangen in einem
endlosen Egozentrismus, der Soziales nicht mehr leben kann und gleichzeitig die kreativen Kräfte unter
Verschluss hält. Soweit meine Deutungsvariante.
Ein weiteres Trash-Dialog Kunstwerk, haben Sie vielleicht bereits beim Hereinkommen gesehen (Tafel 5)
hier großformatig als vermeintliches Polyptichon, das die Entdeckerfreude besonders stark anregt und
eine visuelle Vielfalt der Zitate vereint.
Was ist zu sehen? Zunächst einmal sieht es aus wie eine Montage aus vier Bildtafeln (es sind jedoch
nur zwei.) Die rechte bietet einen neorealistischen Halbakt einer jungen sehr wohlgestalteten Frau,
im Hintergrund ein Bett, sie offenbar noch etwas verschlafen mit erhobenem Arm, , fast als müsse sie
sich vor etwas schützen, vielleicht vor dem grellen Tageslicht. Sie wirkt wie noch nicht ganz in der
Welt angekommen.
An ihrer Seite, hochformatig, eine wundervoll fein gestaltete rote Glasvase mit einer Spiegelung, die
ein Fenster zeigt, das Ausblick auf Gebäude vermittelt. Aus der Vase wachsen zwei Stile voll erblühter
Tigerlilien, deren Weiß und Rotlila Blütenblätter umgeben von zartem Grün eine enorme Vitalität, fast
erotische Kraft und Verführung vermitteln, man scheint ihren schweren Duft fast körperlich
wahrzunehmen und findet sich „mitten im Leben“ – ganz im Kontrast zu der verschlafenen jungen
Dame. Zu ihrer Linken finden sich zwei kleine abstrakte Bilder, eines in schwarz-weiß im Stil
von
PopArt, darüber die bereits bekannte farbige Wildheit hier indunklen Blau und Lila-Tönen, die durch
ein kubisches Gitter in hellerem Blau strukturiert werden.
Links schließt sich die zweite Tafel an, in deren Zentrum ein Stilleben mit Spatzen und ein Petit Four
zu sehen ist. Die wohlgenährten Vögel in feiner Zeichnung haben offenkundig die Absicht, sich an
dem dem riesigen Petit Four gütlich zu tun. Dieses postmoderne Monstrum, das kein normal gebauter
Mensch mit Anstand verzehren könnte, schon gar nicht aus einer Pappschale, hat etwas
Einschüchternes, Disproportionales. Das alles spielt sich vor einem Hintergrund ab, der seriell durch
schräge Streifen und Punktegerastert bzw. gestaltet ist, wie wir das z.B. von Roy Liechtenstein
kennen. Abgeschlossen wird dieses Diptychon von zwei Bildern, gleich großen Quadraten. Oben drei
mit schnellem Pinselstrich gestaltete grauen Steine, die eine ruhige Gleichförmigkeit vermitteln.
Und darunter, wieder dem Prinzip starker Kontraste folgend, ein konstruktivistisches Bild in lebhafter
Farbigkeit, Halbkreise und Rundungen nehmen das rundliche Steinformat vielleicht auf, definieren es
aber neu durch starke Rhythmisierung in kräftigem Blau und Rosa-Rot, sowie weißen und schwarzen
Elementen. Wie wird daraus ein ganzes (und in sich konsistentes) Kunstwerk? Ich denke, indem Form
und Farbe diskret oder offensichtlich korrespondieren. Die vertikale Gestaltung in der rechten Tafel,
das Quadratisch-Runde in der linken. Farblich gibt es ebensolche Resonanzenin Kontrasten von Hell
und Dunkel, bestimmter Farbigkeit – hier ziehen sich Rottöne (Vase, Blüten, Haut, Brustwarzen,
Burgerfüllung, serielle Wanddekoration und muntere Halbkreise) - alles in Rot, das den verbindenden
roten Faden darstellt.
Serielles gegen feinste Einzelgestaltung, Abstrakt gegen Figurativ ergänzen einander, gehen in
Resonanz zueinander, kommentieren sich. Vielleicht empfindet die junge Frau einen Ekel vor dem
riesigen Burger und schaut daher etwas verstört. Der brutale Lebenswille der Spatzen lässt sich
jedoch gerade davon betören. Sie werden sich über das Burger-Monstrum hermachen. Die abstrakten
Bildelemente stellen Ruhepole dar, obgleich sie doch von unruhiger Bewegtheit sind, erzählen sie doch
keine beunruhigende Geschichte.
Es sei an dieser Stelle noch einmal betont: es handelt sich um meine Sichtweise, assoziativen
Verknüpfungen und Deutungsmöglichkeiten. Sie
werden
gewiss
eine
ganz
andere,
eben
spezifisch
Ihre
Geschichte
darin
finden.
Diese
Bilder
erzählen
ihre
Geschichten
und
stellen
ihre
Herausforderung
an
die
Betrachter
über
die
Jahre
auch
immer
wieder neu, sie werden nicht schnell auserzählt sein. Ich darf das aus Erfahrung sagen.
Walter
Benjamin
hat
in
den
späten
20er
Jahren
des
letzten
Jahrhunderts
darüber
nachgedacht,
was
mit der Kunst durch ihre technische
Reproduzierbarkeit geschieht. Er kam, hier sehr verkürzt zusammengefasst, zu dem Schluss, dass mit
der Reproduzierbarkeit die einzigartige Aura des einzigartigen, singulären Kunstwerks verloren geht,
und zwar nicht allein durch
die massenhafte Reproduktion auf Papier, sondern auch das singuläre einzigartige Kunstwerk
selbst verliert seine Aura, wird gleichsam zerstört.
In diesen Bildern geschieht etwas völlig Anderes: durch die Zitate, die Zusammenfügung von
Unvereinbarem, durch den Dialog zwischen einander fremden Stimmen und Positionen, entsteht
durch das gemeinsame Medium, die Malerei, etwas vollkommen Neues. Diese sorgfältige Komposition
von hohem ästhetischem Reiz,gewinnt ein Eigenleben. Der Dialog zwischen Nicht-
Zusammengehörigem, einander Fremdem, stellt eine neue Qualität her, schafft eine eigene
Wirklichkeit, zwingt die Betrachter in einen fremden, neuen Erfahrungsraum der Betrachtung.Und je
länger ich auf diese Bilder schaue, desto mehr kann ich entdecken. Ordne einzelne Zitate zu,
verstehe ihren verborgenen Humor, ihre ätzende Gesellschaftskritik oder ihre Freude an Ausdruck
und Schönheit.
Schlussendlich
hat
diese
künstlerische
Produktionsform
ein
neues,
völlig
eigenständiges
Kunstwerk
geschaffen.
Die
gebildeten
und
wortreichen
Kunstkritiker*innen
werden
ihre
Freude
daran
haben,
die
Zitate
zu
entschlüsseln
und
Zuordnungen
vorzunehmen,
die
Ästhet*innen
werden
sich
an
der
Farbenpracht
erfreuen
oder
an
der
gelungenen
Rhythmisierung,
den
herausfordernden
Kontrastierungen,
die
Tüftler*innen
werden
das
eine
Zitat
auf
das
andere
beziehen
und
sie
sich
wechselseitig
kommentieren
lassen
-
was
zu
immer
neuen
Bedeutungsvarianten
führt.
Zahllose
Herausforderungen,
die
eines
gemeinsam
haben:
sie
geben dem Kunstwerk (s)eine Aura zurück.
Gestatten Sie mir einige Gedanken über die Chancen des Dialogs angesichts selbst extremer
Unterschiedlichkeit. Durchaus könnten wir uns jetzt über verschiedene Ansätze der ästhetischen
Theorien Gedanken machen, ob also Kunst, um authentisch zu sein, funktionslos zu sein habe
(wie Adorno es ausdrückt), und erst dadurch das Widerständige, Nichtidentische zum Ausdruck
bringt, oder ob mit Walter Benjamin durch den
fortschreitenden Verfall des Auratischen, mit dem
die Kunst in den Dienst einer materialistischen Entmythologisierung eintreten kann und
unmittelbar eine Funktion im Emanzipationskampf der Gesellschaft übernimmt. Darüber lässt
sich viel sagen und auch trefflich streiten.
Mir geht es an dieser Stelle erneut um die Bedeutung des Dialogs. Was unsdiese
Bilder von
Jan Eeckhout auch zu sagen haben, ist doch Folgendes: Angesichts einer fortschreitenden
Spaltung der (westlichen) Gesellschaften, vor der die demokratischen Institutionen nicht
schützen können, angesichts von Fragmentierung und Orientierungslosigkeit in allen
Lebensbereichen, angesichts von wachsender Akzeptanz von Lügen und Behauptungen anstelle
von Argumenten, können wir, wenn wir mit dieser besonderen Bildsprache in den Dialog treten
(oder uns dialogisch mit anderen Betrachter*innen darüber austauschen) erleben, dass es
möglich ist, auch Schwieriges zu verstehen, ein Verständnis für etwas zunächst Fremdes zu
entwickeln, durch Zuhören und Argumentieren Annäherungen und Verständnis
hervorbringen.Die Aufforderung zum Dialog, die bereits im Titel steckt, hat eine „utopische“
Dimension. Sie unterstellt nämlich, dass Dialog möglich ist und zu Erneuerung, zu Überwindung
von Stereotypen und Grenzen im Denken führen kann. Grenzüberschreitendes Denken, das ist
es, was wir heute unter Utopie verstehen müssen.
Zerlegen können die westlichen Gesellschaften sich offenkundig selbst; im Dialog mit Vergangenem
(und sei es Trash) kann aber mit ästhetischen Mitteln etwas Neues entstehen, nicht gänzlich aus
eigener Kraft, aber mit Hilfe des Dialogs. Den ist Jan Eeckhout mit den Zitaten aus vergangenen
Epochen eingegangen. Mit diesen bemerkenswerten Ergebnissen. Lassen Sie sich bitte darauf ein, es
lohnt sich.
Christine Morgenroth